Leiter des Museums Ludwig (Köln)
Präsident des intarnationalen Kunstkritikerverbands (Deutsche Sektion, AICA)
Die gemalte Formel
"Dieter Walter Liedtkes konkreter Evolutionismus erschließt dem Betrachter eine Neue Welt. Er zeigt, wie die Materie, die bisher immer nur Gegenstand und Medium der künstlerischen Darstellung war, ihrerseits ihre Umgebung wahrnehmen könnte. Diese Information hat eine bewusstseinserweiternde Funktion."
Der Versuch geht soweit, darzustellen, in welchem Verhältnis der Mensch zur Materie, seiner eigenen Materie (Atom, aber auch Universum) steht, wo sein Platz in den Dimensionen der Unendlichkeit zu suchen ist. Die Quantentheorie sowie allgemein die neuere Atomphysik stoßen in Bereiche vor, die sich Definitionen im klassischen Sinne der Physik entziehen. Zum Beispiel lässt sich der Ort, an dem sich die kleinsten Teile eines Atoms zu einem bestimmten Zeitpunkt aufhalten, nicht genau bestimmen.
Grenzen von Zeit und Ort verwischen sich. Genaue Definitionen lösen sich auf in Unbestimmtheiten. Kleinste Teilchen tauschen exakt zum gleichen Zeitpunkt Informationen aus, obwohl sie Millionen von Kilometern voneinander entfernt sind. Es vergeht also keine Zeit, d. h. die Informationen sind schneller als Licht. Es beginnt ein Nichts, nirgends und überall. Die Nichtgesetzmäßigkeit wird zum Gesetz. Je weiter man versucht, mit wissenschaftlichen Methoden die Natur bis zum Sein schlechthin zu ergründen, mit Signalen, die in Bereichen operieren, die jenseits der menschlichen Wahrnehmungsmöglichkeiten liegen, umso unfassbarer verwischen sich ihre Grenzen. Diese Unfassbarkeit wird bei Liedtke zum Operationsfeld. Das ist seine Basis. Das Nichtdefinierbare, Unzugängliche und Unbestimmte, das Nichtvorhandene ist das, was er in das Heute
holen will. Joseph Beuys sagte:
Ich bin zu dem Ergebnis gekommen, dass es keine einzige Möglichkeit gibt, etwas für die Menschen zu tun, als aus der Kunst heraus. Dazu brauche ich eine pädagogische Konzeption und ich brauche eine erkenntnistheoretische Konzeption und ich muss handeln. Also, es sind gleich drei Dinge, die unter ein Dach gehören.
Während J. Beuys für die Evolution seiner Sozialen Plastik
, des gesellschaftlichen Bewusstseins, nach den Dingen forschte, entwickelt Liedtke die gesuchte erkenntnistheoretische Konzeption, die pädagogische Konzeption und handelt dennoch, leitet Liedtke den fließenden Übergang von der Sozialen Plastik
in die konkrete Evolution ein. Nicht das Detail scheint bei ihm wichtig, sondern die übergeordnete Sichtweise. Diese drückt sich auch im kreativen Prozess aus, in der Art und Weise, wie er scheinbar achtlos und intuitiv mit den Materialien umgeht. Das ist die religiöse, metaphysische, zeitlose Ebene des Dieter W. Liedtke. Die vierte Dimension. Der Betrachter erfährt diese philosophische Ebene aus dem ganzheitlichen Erfassen seiner Werke. Dem Naturwissenschaftler erschließt sie eine Ebene an Informationen, die ihm aus Liedtkes Werken neue Ansätze und Theorien für naturwissenschaftliche Versuche und neue Erkenntniswege aufzeigen können.
Man kann Liedtkes Bilder aber auch als Schlüsselinformationen für ein erweitertes Toleranz- und Achtungsgefühl der Menschen mit- und untereinander verstehen. Alles hier ist wichtig. Der Mensch, die Natur bis hin zum Stein scheinen ein Teil von Liedtke selbst zu sein. Die vier Bereiche - zeitlose Zustände, Philosophie, Naturwissenschaften und Soziologie - führen in seinen Kunstwerken immer wieder über alles bisher da gewesene hinaus.